Klima App - Test und Erfahrungsbericht zur CO2-Kompensation

Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Klimawandel rückt stärker ins Bewusstsein
Viele Menschen sehen den Klimawandel als eines der größten Probleme unserer Zeit. So sind hierzulande 68% der Meinung, dass die Politik zu wenig gegen den Klimawandel und die Erderwärmung unternimmt. 77% der Deutschen sind bereit, selbst mehr Geld für den Klimaschutz auszugeben.
Anbieter für CO2-Kompensation
Seit vielen Jahren besteht die Möglichkeit, den privaten oder geschäftlichen CO2-Ausstoß über unterschiedliche Plattformen zu kompensieren. Unvermeidbare und nicht-reduzierbare Treibhausgas-Emissionen werden dabei durch Klimaschutzprojekte in Deutschland oder anderen Regionen der Welt ausgeglichen.
Zu den bekannteren Akteuren im deutschsprachigen Raum gehören etwa Myclimate, Atmosfair sowie Primaklima (bei den beiden letzteren gleiche ich meine persönlichen und beruflichen CO2-Emissionen aus).
Klima App
Die neue Klima App des Berliner Startups Climate Labs bietet nun ebenfalls CO2-Kompensation und wendet sich an private Nutzer. Finanziert wird das Unternehmen der Gründer Jonas Brandau und Markus Gilles von prominenten Investoren aus der Venture Capital Szene.
„Klima wurde mit dem Ziel gegründet, den größtmöglichen Impact für den Umweltschutz zu erzielen, auf individueller und kollektiver Ebene.“
Markus Gilles im Gespräch mit Gründerszene
Die App ist verfügbar für iOS und Android, eine Registrierung ist möglich, aber für die Nutzung nicht notwendig. Ich habe die Betaversion der Klima App getestet und erste Erfahrungen gesammelt.
Der CO2-Rechner
CO2-Berechnung in der Klima App
Nach der Installation werden zunächst die jährlichen CO2-Emissionen des Nutzers berechnet. Dazu müssen folgende Informationen angegeben werden:
- Wohnsitz,
- Anzahl Lang-und Kurzstreckenflüge,
- Ernährungsweise,
- PKW-Nutzung,
- Einkaufsverhalten,
- Wohnfläche,
- Haushaltsgröße und
- Nutzung von Ökostrom.
In meinem Falle errechnete sich ein jährlicher individueller CO2-Ausstoß in Höhe von 6,6 Tonnen. Der durchschnittliche Pro-Kopf Ausstoß für Deutschland wird mit 11,6 Tonnen angegeben, für die ganze Welt mit 4,5 Tonnen.
Laut CO2-Rechner des Umweltbundesamtes, der Emissionen sehr differenziert und detailliert berechnet, liegt meine jährliche CO2-Bilanz bei 6,35 Tonnen. Die Abweichung von 6,6 zu 6,35 Tonnen liegt bei etwa 4% – ein vertretbarer Wert.
Ziel: Verringerung der CO2 Emissionen
Die ärmsten Länder Afrikas haben Pro-Kopf CO2 Emissionen von meist unter 0,5 Tonnen. Die Folgen des Klimawandels treffen gleichwohl Afrika am härtesten.
Wenn die Erderwärmung unter 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit gehalten werden soll (Zielvereinbarung der Vereinten Nationen), müssen insbesondere die Staaten des globalen Nordens ihre Treibhausgasemissionen so weit wie möglich verringern.
Dies bedeutet für Industrieländer wie Deutschland, dass sie ihre Emissionen um etwa 80–95% gegenüber 1990 reduzieren. Das entspricht einem Absenken des pro Kopf CO2-Ausstoßes von heute 11,6 Tonnen auf 1 Tonne in 2050.
Bei den gängigen CO2-Berechnungen wird dabei der Konsum nicht einmal komplett abgebildet. So werden viele unser Produkte im Ausland, z.B. in China, produziert und tragen zur dortigen nationalen Emissionsbilanz bei. Würden diese Emissionen mit berücksichtigt, würde der Pro-Kopf CO2-Ausstoß hierzulande bei mindestens 15 Tonnen pro Jahr liegen.
Verfügbare Klimaschutz-Projekte
Im Anschluss an die CO2-Berechnung stellt die Klima App Projekte vor, die für die Kompensation der eigenen Emissionen zur Verfügung stehen.
„Bäume pflanzen“, „Solarenergie-Anlagen“ sowie „nachhaltige Kochherde“ sind die Oberthemen. Für die genannten Bereichen sind unterschiedliche Projekte im globalen Süden eingestellt.
Die Ausgleichsprojekte erfüllen internationale Qualitätsstandards für zertifizierten CO2-Ausgleich und werden u.a. durch den Verified Carbon Standard oder den Gold Standard verifiziert.
Der Nutzer kann eines oder mehrere der Oberthemen auswählen, und anschließend den errechneten Betrag bezahlen, der monatlich für die Kompensation fällig wird.
In meinem Falle lag die Monatszahlung bei Euro 5,46, entsprechend Euro 65,52 im Jahr für die bescheinigten 6,6 Tonnen CO2.
Zum Vergleich: Bei Atmosfair kostet die Kompensation der gleichen Menge Kohlendioxid Euro 152,-.
Klima muss also besonders effiziente Projekte ausgewählt haben (low hanging fruits). Das mag sinnvoll sein im Hinblick auf eine möglicherweise niedrige Zahlungsbereitschaft potentieller neuer Kunden.
Gebühren für die CO2-Kompensation
Climate Labs berechnet für die Kompensationsleistung 30% des geleisteten Monatsbetrages. Davon gehen 10% in die Verwaltung, 20% ins Marketing. Im Vergleich zu anderen Anbietern ist das eine sehr hohe Gebühr. Zumal Klima anders als andere Plattformen die finanzierten Projekte nicht selbst betreut.
Die gemeinnützige Atmosfair, seit 2004 in der Kompensation aktiv, verwendet 10% für Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit und Kundenbetreuung. Auch Myclimate arbeitet Non-Profit. Zahlungen für CO2-Kompensation lassen sich bei den beiden genannten zudem – anders als bei Klima – steuerlich absetzen.
Und so scheinen die Kosten bei Climate Labs relativ üppig zu sein. Allerdings können hohe Marketingausgaben positive Effekte haben etwa hinsichtlich Gattungsmarketing oder der Sensibilisierung für Klimafragen und CO2-Kompensation/-Vermeidung im Allgemeinen. Je mehr Menschen gewonnen werden, desto besser.
Bedienung der App
Die Klima App ist für meinen Geschmack sehr schön gemacht und lässt sich einfach und intuitiv bedienen.
Im Vergleich zu den bestehenden Plattformen hebt Klima sich damit wohltuend mit einem zeitgemäßen und mobilen Ansatz ab.
Allerdings gibt es darüber hinaus keine besonderen Funktionen. Der Prozess ist grundsätzlich überall derselbe.
Die individuelle Klimabilanz lässt sich auch nach Registrierung nicht speichern. Das mag der Beta-Phase der App geschuldet sein.
Wünschenswerte Funktionen, die (noch?) fehlen
CO2-Vermeidung besser als Kompensation
CO2-Offsetting ist aus verschiedenen Gründen nicht unumstritten (u.a. mögliche Doppelzählung von Reduktionen/keine Zusätzlichkeit, indirekte Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen in totalitären Regimen, Rebound Effekte, verzögerte oder verpuffte Wirksamkeit/keine Permanenz).
Da CO2 bis zu 1.000 Jahre in der Atmosphäre bleibt, ist fraglich ob Kompensation überhaupt ein geeignetes Mittel gegen den Klimawandel ist.
Auf jeden Fall ist Vermeidung von Emissionen ggü. der Kompensation - bedingt durch den direkten und unmittelbaren Effekt - immer die überlegene Option. (Eine politische Steuerung wäre etwa denkbar über die Einführung einer CO2-Steuer für Energie, Investionen und Konsum, wie z.B. in Schweden erfolgreich umgesetzt.)
„Die ganze Kompensationslogik ist ein Irrweg.“
Sabine Frank, Direktorin Carbon Market Watch in Brüssel, in der FAZ
Kompensation kann zu Fehlsteuerungen führen, wenn Menschen ihr Verhalten nicht ändern, weil sie glauben sich „freikaufen" zu können.
Insofern sollten jenseits vom möglichen Greenwashing durch Kompensation Strategien und Ziele zur CO2-Vermeidung baldmöglichst in den Funktionsumfang der App aufgenommen werden.
Anreize schaffen für CO2-Reduktion
Wünschenswert wäre zudem eine Implementierung von „Nudge-Ansätzen”. Dabei werden bestimmte Handlungen zielgerichtet gefördert. Es muss sich gut anfühlen und „hip“ sein, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen.
Beispielsweise könnte überlegt werden, dass sich Nutzer der App untereinander vernetzen und zu Reduktionen ihrer CO2-Abdrücke gegenseitig motivieren. Dazu könnten bereits vorhandene Social Graphs über LinkedIn- oder Twitter-API herangezogen werden.
Interessant wäre es darüber hinaus, Updates zur Verringerung des eigenen CO2-Fußabdruckes und zum Fortschritt der unterstützen Projekte zu erhalten; Etwa wieviel im Zeitverlauf kompensiert wurde oder wo die Maßnahmen qualitativ stehen. So könnte dem Gefühl entgegengewirkt werden, in eine „Black Box“ zu investieren.
Weitere mögliche Funktionen:
- Kompensation einer beliegigen Menge CO2
- Optionale monatliche Justierung der CO2-Bilanz, Entwicklung im Zeitverlauf visualisieren,
- Ausstellung von Zertifikaten, z.B. für das LinkedIn-Profilfeld.
- Szenario-Analyse, vergleichbar zur Funktion im CO2-Rechner des Umweltbundesamtes.
- Geschenkgutscheine
Fazit zur Klima App
Die Klima App bietet eine unkomplizierte Möglichkeit zur Berechnung und Kompensation der persönlichen CO2-Emissionen.
Die Funktionalitäten sind in der getesteten Betaversion noch sehr übersichtlich, aber sie erfüllen bereits ihren Zweck.
Die hohen Kosten für Verwaltung und Marketing lassen sich rechtfertigen, wenn neue Gruppen für den Klimawandel sensibilisiert werden und insgesamt ein höheres Spendenvolumen generiert werden kann als alleine über die gemeinnützigen Plattformen.
In fünf Jahren möchte Climate Labs über eine Million Kunden für die App haben. Bei einem Umsatz von rund Euro 120,- pro Kunde und Jahr (Kompensation von ca. 11,6 Tonnen) entspräche dies einem Gesamtumsatz der Firma von über Euro 120 Mio..
Bis zum Jahr 2025 würden über die App entsprechend rund 12 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr neutralisiert, soweit die Klimaschutzrojekte auch tatsächlich wie versprochen funktionieren.
Kompensation ist allerdings nur für Emissionen sinnvoll, die sich wirklich nicht vermeiden lassen. CO2-Vermeidung muss das Ziel sein auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Ich drücke die Daumen, dass es dem Startup gelingt, möglichst viele Menschen für die Klimakrise und ihre Kosten zu interessieren und zur Kompensation oder bestenfalls zur Reduktion von Emissionen zu bewegen. CO2-Neutralität ist eine Utopie, ein sparsamer Umgang mit den Ressourcen unserer Erde sollte zum Gütesiegel für ein nachhaltiges Leben werden.